Rotreis und die Nebenwirkungen von Lovastatin

Gesundheitsbehörden in Deutschland, Frankreich und Belgien behaupten, dass Präparate mit Rotreis die gleichen Nebenwirkungen wie Lovastatin® haben. Aber stimmt das auch?
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Gesundheitsbehörden in Deutschland, Frankreich und Belgien behaupten, dass Nahrungsergänzungsmittel, die Extrakte aus Rotreis, auch „Rotschimmelreis“ genannt, enthalten, die gleichen Nebenwirkungen hervorrufen wie das cholesterinsenkende Arzneimittel Lovastatin®! Aber stimmt das auch? Sollte man vor der Einnahme von Rotreis-Kapseln einen Arzt konsultieren? Gibt es einen Grund zur Sorge? Oder ist dies einfach nur ein weiterer schikanöser Angriff auf Nahrungsergänzungsmittel zugunsten der Pharmaindustrie …?

Rotreis, Lovastatin®, Monakolin K und Cholesterin

Am 15. Januar 2020 gab das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung („BfR“) einen offiziellen Warnhinweis heraus, dass Rotreis-Kapseln nur nach Rücksprache mit einem Arzt eingenommen werden sollten. Auch wenn es immer eine gute Idee ist, den Arzt über die eigenen Ess- und Trinkgewohnheiten auf dem Laufenden zu halten, was könnte der Grund für den Warnhinweis des Instituts sein? Nun, die aktive Substanz in Rotreis-Supplementen, genannt Monakolin K, ist auch der aktive Inhaltsstoff in medizinischen cholesterinsenkenden „Statinen“ wie Lovastatin®. Lovastatin® wird in Dosierungen von 20 mg bis 80 mg verschrieben. Die Mengen von Monakolin K in Rotreis-Präparaten reichen von 3 mg bis 10 mg.

Aufrechterhaltung eines normalen Blutcholesterinspiegels

2011 legte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) fest, dass auf der Basis einer relevanten wissenschaftlichen Beweislage die tägliche Einnahme von 10 mg Monakolin K, das in Rotreis enthalten ist, eine günstigeWirkung auf die LDL-Cholesterin-Konzentrationen bei Menschen mit Hypercholesterinämie hat. Die EFSA hat bestätigt, dass die Wirkung von Monakolin K auf LDL-Cholesterin-Konzentrationen klar festgestellt ist und dass der Mechanismus, durch den Monakolin K zu der behaupteten Wirkung beiträgt, wohlbekannt ist. Die EFSA war der Meinung, dass der folgende Wortlaut die wissenschaftliche Beweiskraft wiedergibt: „Monakolin K aus Rotschimmelreis trägt zur Aufrechterhaltung normaler Blutcholesterinkonzentrationen bei.” ([i])

Nebenwirkungen von Lovastatin®

Aber in ihrer Einschätzung bezog die EFSA sich auch auf die Einnahmebeschränkungen, die Lovastatin® betreffen. In den verschriebenen Dosierungen von 20-80 mg hat Lovastatin® ernste und unangenehme Nebenwirkungen. In seinem Warnhinweis schreibt das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung: „Zu den möglichen Nebenwirkungen von Lovastatin zählen Kopfschmerzen, Übelkeit, Durchfall, Schwäche, Hautausschläge und Muskelkrämpfe. In seltenen Fällen kann es zu Störungen der Nieren- und Leberfunktion und Schädigungen der Skelettmuskulatur (Rhabdomyolyse) kommen. Arzneimittel mit dem Wirkstoff Lovastatin sind rezeptpflichtig. Stets bedarf es einer ärztlichen Risiko-Nutzen-Abwägung, ob die Behandlung mit Lovastatin für die Patientin oder den Patienten sinnvoll ist.”

Hat Rotreis Nebenwirkungen?

Hat die tägliche Einnahme von Rotreis, der eine Dosis von, sagen wir, 2 x 5 mg Monakolin K liefert, die gleichen Nebenwirkungen wie die tägliche Einnahme von 20 mg oder mehr von in Lovastatin® enthaltenem Monakolin K? Die BfR zögert nicht festzustellen, dass „das darin [in Rotreisprodukten] enthaltene Monakolin K die oben genannten Nebenwirkungen ebenfalls hervorrufen” kann. Aber angesichts der Tatsache, dass es praktisch keinen Beweis gibt, der diesen Warnhinweis untermauert, läuft er auf reine Spekulation und Angstmacherei hinaus. Schließlich ist die empfohlene Mindestdosis von Lovastatin® zweimal so hoch wie die Dosis, die laut EFSA-Einschätzung für die behauptete Gesundheitswirkung von Monakolin K in Rotreis empfohlen wird. Die Höchstdosis von Lovastatin® beträgt nicht weniger als achtmal so viel wie die von der EFSA in ihrer Monakolin-Stellungnahme empfohlene Dosis.

Der wissenschaftliche Nachweis eines Risikos von Rotreis fehlt

Es gibt keinen wissenschaftlich validen Grund, die potentiellen Risiken, die mit der Mindestdosierung (20 mg) von Lovastatin® einhergehen, mit der Höchstdosis (10 mg) in Verbindung zu bringen, die man durch die Einnahme von Monakolin entsprechend der EFSA-Stellungnahme zu sich nehmen kann. Die Folgerung oder die Idee, die potentiellen Nebenwirkungen von  Lovastatin®s therapeutischer Dosierung sollte im Kontext der Einschätzung des potentiellen Risikos von 10 mg oder weniger Monakolin als Nahrungsergänzungsmittel in Betracht gezogen werden, würde eine solide wissenschaftliche Untermauerung erfordern, die in keinerlei Zusammenhang mit den Erkenntnissen zur Einnahme von Lovastatin® steht. Diese wissenschaftliche Untermauerung existiert nicht.

Die Doppelzüngigkeit der BfR

Jedoch kam die BfR auf der Grundlage der unbestrittenen Nebenwirkungen von Lovastatin® zu  der Einschätzung, dass hinsichtlich der „Wahrscheinlichkeit“ einer moderaten bis ernsthaften Beeinträchtigung der Gesundheit durch den Konsum von Nahrungsergänzungsmitteln mit Rotschimmelreis, diese „Wahrscheinlichkeit“ als „möglich“ eingestuft werden muss. Im Hinblick auf die Risikobewertung ist dies doppelzüngig. Es gibt keine möglichen Wahrscheinlichkeiten, so wie es auch keine wahrscheinlichen Möglichkeiten gibt. Bei echter Risikobewertung, wie auch in der Alltagssprache, gibt es einen Riesenunterschied zwischen Dingen, die wahrscheinlich und solchen, die möglich sind. Wenn man Sie fragt, ob Sie ein neues Auto kaufen werden, besteht zwischen den Antworten „wahrscheinlich“ und „möglich“ ein ziemlicher Unterschied.

Vermeiden Sie eher Risiken, die gesichert sind, als solche, die möglich sind

Wenn jedenfalls der Zufall, dass Rotreis eine schädliche Wirkung hervorrufen kann, als „möglich“ eingestuft wird, wird so das Risiko in die niedrigste Kategorie von Risiken platziert, die von „gesichert“ über „wahrscheinlich“ und „möglich“ zu „praktisch ausgeschlossen“ reichen. Wenige Menschen sind allerdings darin geübt, gewisse Schädlichkeitsrisiken von ungewissen Schädlichkeitsrisiken zu unterscheiden. Zudem setzen viele ein Schädlichkeitsrisiko mit tatsächlicher Schädlichkeit gleich. Schließlich leben wir in einer risikovermeidenden Gesellschaft und eine Risikowarnung reicht meist aus, um Angst zu schüren. Wir versuchen aus Angst ein Schädlichkeitsrisiko zu vermeiden, so als ob es tatsächlich schädlich wäre. In Wirklichkeit geht es bei dieser Art von Risikobewertung nur um Angsterzeugung. Aber nun überlegen Sie doch noch mal, warum Sie ein Risiko fürchten sollten, das möglich ist? In unserem Alltag gibt es tausende solcher Risiken und wir holen nicht den Rat von Ärzten, Experten, Behörden oder Instituten ein, um zu ermitteln, ob solche minimalen Risiken den jeweiligen Nutzen überwiegen. Ist es nicht viel sicherer und vernünftig, solche Risiken zu fürchten, die „gesichert“ sind, wie beispielsweise das Risiko, dass man auf der Straße einen Autounfall hat?! In dieser Hinsicht müssten diese Risiken als „gesichert“ eingestuft werden, wenn man die Risikobewertungsmethode der BfR anwendet, um die Risiken bei der Einnahme von Lovastatin® einzuschätzen. Wenn möglich, sollte man sie lieber vermeiden.

Der Nutzen von Rotreis ist gesichert, die Risiken sind es nicht

Im Hinblick auf den Nutzen von Rotreis, muss selbst die BfR zugeben, dass es ihn gibt. „In Asien“, so das Institut, „wird Rotschimmelreis wegen seiner cholesterinsenkenden Wirkung schon lange konsumiert, um Verdauungsbeschwerden und Krankheiten des Herz- und Gefäßsystems zu kurieren.” Dieser Nutzen ist nicht „wahrscheinlich” oder „möglich”, nein, er ist gesichert. Stellen Sie sich also vor, Sie müssten einen bestimmten Nutzen gegen ein Risiko abwägen, das als „möglich“ eingestuft wird. Wahrscheinlich würde es nicht lange dauern, bis Sie die Entscheidung für den Nutzen treffen und das Risiko auf sich nehmen, dass einige reversible und vorübergehende schädliche Wirkungen möglicherweise auftreten könnten. Nicht aber die BfR. Immerhin besteht ihr Geschäft in Risikobewertung. Aber im Fall von Rotreis konnte die BfR nicht erklären, wie viele Menschen, die Rotreis nehmen, möglicherweise eine moderate oder ernsthafte schädliche Wirkung haben. Einer aus Tausend, zwei aus Tausend, fünf aus Zehntausend? Wer weiß das? Nicht jedenfalls die BfR, denn es erfordert eine riesige Menge an Menschen, um zu ermitteln, ob ein mögliches Risiko tatsächlich die mit dem Risiko in Zusammenhang gebrachte schädliche Wirkung hervorruft, und wenn ja, bei wie vielen Menschen und in welchem Schweregrad.

Das Risiko von Herz-Kreislauf-Problemen senken

Das Interessante an der Stellungnahme der BfR ist, dass das Institut die ernsten Nebenwirkungen von Lovastatin®zugeben und bestätigen muss, um uns vor den legal vermarkteten Rotreis-Nahrungsergänzungsmitteln zu warnen. In der vorherrschenden schulmedizinischen Praxis werden die meisten Nebenwirkungen heruntergespielt, wenn Statine wie Lovastatin® verschrieben werden. Ihr angeblicher Nutzen erhält die größte Aufmerksamkeit, auch wenn in vergangenen Jahren der Nutzen von Statinen höchst fragwürdig, vielleicht sogar als nichtexistent erkannt worden ist. Aber nehmen wir nur um des Arguments willen einmal an, das Senken von Cholesterin sei eine nützliche Wirkung. Sollte in diesem Fall die BfR sich nicht für den Gebrauch von Rotreis aussprechen, anstatt dagegen? Warum? Weil die EFSA behauptet, dass die Einnahme von Rotreis-Monakolin K zur Aufrechterhaltung normaler Blutspiegelkonzentrationen beiträgt. Und dies wiederum scheint ja das Risiko von Herz-Kreislauf-Krankheiten zu reduzieren. Die BfR zieht es hingegen vor, diesesRisiko zu ignorieren. Im Hinblick auf das, was die BfR als „Kontrollierbarkeit durch Verbraucher“ bezeichnet, womit sie meint, wie Verbraucher die Möglichkeit einer schädlichen Wirkung kontrollieren können, schlägt sie „Kontrollierbar durch Vorsichtsmaßnahmen“ und „Kontrollierbar durch Verzicht“ vor. Im letztgenannten Fall würde man durch das Vermeiden eines möglichen Risikos sich auch den behaupteten gesicherten Nutzen von Rotreis vorenthalten.

Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen!

[I] Scientific Opinion on the substantiation of health claims related to monacolin K from red yeast rice and maintenance of normal blood LDL-cholesterol concentrations (ID 1648, 1700) pursuant to Article 13(1) of Regulation (EC) No 1924/2006. EFSA Journal 2011;9(7):2304 [16 pp.]. doi:10.2903/j.efsa.2011.2304. Available online: www.efsa.europa.eu/efsajournal